Kommunal- und Europawahl: Für manche Jungwähler ist es komplizierter als eine Klausur (2024)

Im gut besuchten Bezirksamt in der Bebelstraße trifft man an diesem Sonntagvormittag einige junge Wählerinnen und Wähler. Viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommen in kleinen Gruppen. So auch zwei Studenten aus Stuttgart-West: Kurz vorm Betreten des Wahllokals überprüfen sie noch einmal, ob sie auch wirklich alles dabei haben. „Das ist ja komplizierter als so manche Klausur“, sagt einer der beiden und lacht. Kurze Zeit später haben die jungen Männer ihre Wahl abgegeben. „Am Ende war es jetzt gar nicht mehr so unübersichtlich. Man wird ja auch gut betreut“, erzählen sie.

Erst Kreuz setzen, dann Eis essen

Für diese Betreuung ist an diesem Wahltag in der Bebelstraße unter anderem Darius Hinrichsen zuständig. Der 18-Jährige ist zum ersten Mal Wahlhelfer: „Ich habe einen Aufruf bei der Stadt Stuttgart gesehen und mich dann freiwillig gemeldet.“ Für ihn sei es wichtig, schon früh die Demokratie mitzugestalten. Er hat aber auch beobachtet, dass Erstwählerinnen und Erstwähler nicht unbedingt im Teenageralter oder Anfang zwanzig seien: „Vorhin war ein älteres Ehepaar bei mir, das zum ersten Mal heute wählen war.“

Ein paar hundert Meter weiter gab es für Erstwählerinnen und Erstwähler sogar eine Belohnung, nachdem sie ihr Kreuz gesetzt hatten: Landtagspräsidentin Muhterem Aras lud im Eiscafé Fragola am Bismarkplatz zu einer Kugel Eis ein. Aras versteht das als ihren Beitrag, „um den Wahltag zu feiern und zu genießen“, wozu sie mehrfach aufgerufen hatte. Aras hat zuvor mit ihrem Mann Sami in der Hasenbergschule gewählt und sich dort über die lange Warteschlange gefreut.

Viele junge Leute hatten sich im Eiscafé eingefunden, darunter einige Jugendräte, die extra angeschrieben worden waren. Clevere unter ihnen spekulierten auf drei Gratiskugeln, „weil sie dreimal gewählt haben“: Europa, den Gemeinderat und die Regionalversammlung. Über ein Eis freute sich auch der 17-jährige Francesco Blandini, einer der Initiatoren eines „Demokratiefestes“ das jüngst im Bürgerzentrum West stattfand. Er findet es „schwierig, an die Zielgruppe heranzukommen“. Dass solche Angebote ein Weg sein können, zeigte auch eine gut besuchte Jugendveranstaltung am Freitagabend im Stadtpalais, bei der es günstige Getränke gab.

Aktuelle Vorkommnisse motivieren zur Wahl

Doch nicht nur im Zentrum der Stadt waren einige wahlfreudige junge Menschen anzutreffen, sondern auch etwas außerhalb – beispielsweise in Mühlhausen und in Bad-Cannstatt. „ Hin und wieder habe ich auch potenzielle Erstwähler gesehen. Natürlich sieht man den Leuten nicht unbedingt an, ob sie 16 sind, aber ein paar Jüngere waren schon hier“, berichtete Ute Faßnacht, Wahlhelferin in Mühlhausen.

In Bad-Cannstatt verlassen am späten Sonntagnachmittag Sina und Ann-Kathrin das Wahllokal. Für die jungen Frauen war es sehr wichtig zur Wahl zu gehen. „Man hat ja zum Beispiel durch die Vorkommnisse auf Sylt gesehen, wie tief rechtes Gedankengut in Deutschland verankert ist“, erzählt Sina, „das hat meine Wahlentscheidung nicht beeinflusst, sondern nur verstärkt.“ – „Ich hoffe, dass wir in den nächsten Tagen sehen können, dass vor allem die jungen Wählerinnen und Wähler in Deutschland offen und bunt sind“, ergänzt die 22-Jährige Ann-Kathrin.